Auszug OVG Sachsen, 14.09.2010 - 4 B 87/10
1. Der Antragstellerin steht als organschaftliches Recht ein Anspruch auf spiegelbildliche Besetzung der beschließenden Ausschüsse zu, der durch die am 16.9.2009 erfolgte Wahl und Bestellung der Mitglieder der hier in Streit stehenden Ausschüsse nicht erfüllt worden ist und damit ihre organschaftlichen Rechte verletzt.
1.1. Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG muss das Volk in den Ländern, Kreisen und Gemein-
den eine Vertretung haben, die aus unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wah-
len hervorgegangen ist. Diese Bestimmung überträgt die in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG ge-
troffene Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der Volkssouveränität und
der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden. Daraus folgt, dass die Gemeindevertre-
tung, auch wenn sie kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft
ist, die Gemeindebürger repräsentiert. Diese Repräsentation vollzieht sich nicht nur im
Plenum, sondern auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung. Jeder Ausschuss ei-
ner Gemeindevertretung muss folglich ein verkleinertes Bild des Plenums sein und in sei-
ner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums widerspiegeln. Dieses Prin-
zip der demokratischen Repräsentation bringt § 42 Abs. 2 Satz 1 SächsGemO zum Aus-
druck, wenn dort geregelt wird, dass die Zusammensetzung der beschließenden Aus-
schüsse der Mandatsverteilung im Gemeinderat entsprechen soll (dazu etwa:
BVerwG, Urt. v. 9.12.2009, NVwZ 2010, 834 ; SächsOVG, Urt. v. 15.3.2005, JbSächsOVG 13, 195 = SächsVBl. 2006, 12).
Da die demokratische Repräsentation der ganzen Volksvertretung, d.h. der Gesamtheit
ihrer gewählten Mitglieder obliegt, haben alle Mitglieder grundsätzlich gleiche Mitwir-
kungsrechte (BVerfG, Urt. v. 13.6.1989, BVerfGE 80, 188, 217). Entsprechendes gilt für
die Fraktionen als Zusammenschlüsse politisch gleichgesinnter Mitglieder der Volksver-
tretung. Auch die Fraktionen sind somit im Plenum und in den Ausschüssen grundsätz-
lich gleichberechtigt an der Willensbildung der Volksvertretung zu beteiligen (BVerfG,
Urt. v. 14.1.1986, BVerfGE 70, 324, 362, Urt. v. 13.2.2008, BVerfGE 120, 82, 120). Letz-
teres hat in § 35a Abs. 2 SächsGemO seinen Niederschlag gefunden, wonach die Fraktio-
nen bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung des Gemeinderats mitwirken. Der
Grundsatz der spiegelbildlichen Besetzung der Ausschüsse schützt somit den Anspruch
jedes Mitgliedes der Gemeindevertretung und jeder von den Mitgliedern gebildeten Frak-
tion auf gleichberechtigte Mitwirkung und sichert die Erfolgswertgleichheit der gültigen
Wählerstimmen und die gleiche Repräsentation der Wähler durch die gewählten Man-
datsträger (BVerwG, Urt. v. 9.12.2009, a. a. O.).
Diesem Anspruch auf gleichberechtigte Teilnahme an der Willensbildung dürfte entge-
gen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht schon dann genüge getan sein,
wenn einer Fraktion die ihr nach der Zahl ihrer Mandate in der Gemeindevertretung
rechnerisch zustehenden Sitze im Ausschuss auch tatsächlich zur Verfügung gestellt
werden; maßgebend dürfte vielmehr sein, ob die Zusammensetzug eine gleichberechtig-
te Mitwirkung ermöglicht.
Auch wenn eine Fraktion im Ausschuss die ihr rechnerisch zustehenden Sitze innehat,
kann sich durch Über- bzw. Unterrepräsentation anderer Fraktionen in dem Ausschuss ei-
ne so deutliche Verschiebung des an sich im Gemeinderat bestehenden Stärkeverhält-
nisses ergeben, dass von einer Spiegelbildlichkeit keine Rede mehr sein kann. Eine Frak-
tion, die aufgrund ihrer Stärke im Gemeinderat durchaus mit Erfolgschancen einem Vor-
haben zum Erfolg verhelfen oder ein solches verhindern könnte, wäre in den Ausschüs-
sen - trotz rein rechnerisch mandatsgerechter Sitzzuteilung – nahezu bedeutungslos und
damit in ihrer Mitwirkungsmöglichkeit beeinträchtigt. Will der Anspruch auf spiegelbildli-
che Besetzung aber unter anderem die gleichberechtigte Mitwirkung in den Ausschüssen
sicherstellen, muss er einer Fraktion auch das Recht einräumen, einer derartige Über-
bzw. Unterrepräsentation, die die gleichberechtigte Mitwirkung und die gleiche Reprä-
sentation beeinträchtigt, geltend zu machen. Für dieses Verständnis des Spiegelbildlich-
keitsgrundsatzes spricht auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt.
v. 10.12.2003, BVerwGE 119, 305; Urt. v. 9.12.2009, a. a. O.), wenn dort als Gegenstand
und Bezugspunkt der spiegelbildlichen Abbildung das Stärke verhältnis der politischen
Kräfte, die sich zur Wahl der Gemeindevertretung gestellt haben und zwischen denen
der Wähler entschieden hat, genannt und darauf verwiesen wird, dass die vom Volk ge-
wählten Vertreter entsprechend ihres politischen Stärkeverhältnisses nach Fraktionen
oder Gruppen repräsentiert werden müssen. Ein politisches Stärkeverhältnis nach Frak-
tionen wird jedoch nicht dadurch abgebildet, dass einer Fraktion der ihr rein rechnerisch
zustehende Sitz zugewiesen wird, sondern dadurch, dass auch den anderen Fraktionen
weder mehr noch weniger Sitze zugeteilt werden. Gleichermaßen hat auch das Nieder-
sächsische Oberverwaltungsgericht (Urt. v. 27.6.2008, DVBl. 2008, 1125) entschieden,
dass jeder Ausschuss des Gemeinderates ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und
in seiner Zusammensetzung die Zusammensetzung des Plenums und das darin wirksa-
me politische Meinungs- und Kräftespektrum widerspiegeln müsse.